Protesttag niedergelassener Praxen am Mi. 30.11.2022

Am Mittwoch 30.11.2022 bleiben unsere Praxen erneut aus Protest gegen die Zerstörung der niedergelassenen Praxen geschlossen.

Da sowohl von Seiten der Politik, als auch Krankenkassen, immer wieder darauf hingewiesen wird, dass man an der Problematik/Entwicklung unschuldig sei und nichts tuen könne, hier eine Stellungnahme unseres Vereins, die die verschiedenen Ebenen der Verantwortlichkeit aufzeigt.

1. Bundesebene
Bundespolitisch hat man den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit der Streichung der Neupatientenregelung das klare Zeichen gegeben, dass sich Mehrarbeit nicht lohnen darf. Diese Auffassung des Gesundheitsministeriums hat das Ziel, die faktisch anfallende Mehrarbeit im ambulanten Bereich, ausgelöst durch den aktuellen und sich enorm verschärfenden Ärztemangel sowie neue Patientengruppen aus dem Flüchtlings- und Zuwanderungsbereich, ohne entsprechende Vergütung totzuschweigen. Die ambulante Medizin ist an der Grenze des Leistbaren angekommen.
Plakative Aktionen wie die Suche nach Landärzten, Stipendien und sonstige Förderprogramme laufen natürlich vollkommen ins Leere. Wir wollen hochqualifizierte Ärztinnen und Ärzte, die wir natürlich entsprechend vergüten müssen. Ansonsten erfolgt die Berufswahl natürlich unter dem Gesichtspunkt der leistungsgerechten Vergütung. In der Medizin ist man damit jetzt und in der Zukunft vollkommen verkehrt. Und wir alle müssen uns überlegen, welche Qualität die medizinische Versorgung in der Zukunft haben soll.

In der Corona-Pandemie zeigt sich ein weiteres Mal, wie zuverlässig das aktuelle System noch funktioniert – allerdings nur unter dem mindestens 150%-igen Einsatz der Akteure. Die Stundenbelastung von mehr als 40% niedergelassener Ärztinnen und Ärzte liegt bei 50-70 Stunden pro Woche. 20% arbeiten sogar 60-80 Stunden (KBV Ärztemonitor). Es addieren sich Belastungen wie durch Nacht- und Wochenenddienste. Themen wie work-life-balance erscheinen in diesem Zusammenhang wie ein Hohn.
Begegnet man diesem Einsatz mit der aktuellen mangelnden Wertschätzung, ist eine Fortsetzung unserer aktuellen ambulanten Versorgung nicht mehr möglich. Der persönliche Kontakt zum behandelnden und selbst gewählten ärztlichen Behandler wird nicht mehr überleben und die ambulante Medizin den Charakter einer Notversorgung annehmen.
Wer denkt, dass er ja ganz einfach im Krankenhaus behandelt werden kann, hat das stationäre Versorgungs- und Abrechnungssystem in Deutschland nicht verstanden.

Es ist also an der Zeit, alles dafür zu geben, die Handlungsfähigkeit unserer ambulanten Medizin zu erhalten und zu verbessern! Eine Verweigerung des Inflationsausgleichs durch die Krankenkassen ist natürlich vollkommen undenkbar und inakzeptabel. Oh Wunder – wollen doch auch die angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der niedergelassenen Mediziner adäquat und zuverlässig bezahlt werden!

2. Regionales
Zuwendungen an das Klinikum Fulda werden (Zitat B. Woide – Fuldaer Zeitung vom 15.02.2022) bezeichnet als „Ausdruck der Verantwortung des Landkreises für eine gute medizinische Versorgungsstruktur in unserer Region“. So werden 20-Millionen-Euro-Kredite vonseiten der Stadt lässig in „Eigenkapital umgewandelt“, Kreditrahmen werden verdoppelt. Wie kann man solche Entscheidungen, die sicher wirtschaftlich aus verschiedenen Gründen erforderlich wurden, in Relation zum Einsatz für die ambulante Medizin rechtfertigen? Wo bleibt die Unterstützung unserer regionalen Politik für die ambulante Medizin? Wo ist der finanzielle Support für unsere selbstständigen Praxen? Der extreme Anstieg der Energie-und sonstigen Kosten belastet nicht nur die Krankenhäuser, sondern in gleichem Maße uns Niedergelassene!

Die Unterstützung des Klinikums Fulda durch die Lokalpolitik sorgt sogar für eine weitere Schwächung der ambulanten Versorgung. Der Zusammenkauf von Facharztsitzen auf Kosten der Steuerzahler (und somit auch durch die Niedergelassenen selbst finanziert) sorgt für eine eklatante Terminreduktion in der Versorgung. Angestellte Ärzte in den Praxen des MVZs arbeiten im Schnitt nur 23 Stunden pro Woche (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland) und somit weniger als die Hälfte der niedergelassenen selbstständigen Kolleginnen und Kollegen. Das hat für eine bedeutende Verlängerung der Terminvergabe im fachärztlichen Sektor gesorgt. So kann die regionale Versorgung im ambulanten Bereich nicht suffizient organisiert werden. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen vernetzen sich im Sinne der Patienten, investieren Zeit und Geld, um Abläufe zu optimieren oder nur zu ermöglichen – von politischer Seite kommt jedoch geradezu ein Gegenwind.
Will man nicht nur den stationären, sondern auch den ambulanten medizinischen Bereich stärken, muss hier eine regionalpolitisch Gleichbehandlung erfolgen. Zumindest müssen die Facharztsitze des Klinikums wieder freigegeben werden. Man kann sich nicht mit der Leistung der Top-Performer im Medizinbusiness (die ambulante Medizin erfüllt 90% des Versorgungsauftrages) schmücken und diese als die eigene darstellen, sondern muss auch etwas zurückgeben. Etwas einbringen. So könnte man auch hier „Verantwortung für eine gute medizinische Versorgung in unserer Region“ übernehmen und den Kredit an Vertrauen und Geld, den wir Ärztinnen und Ärzte der Regionalpolitik und dem Klinikum gegeben haben, in nachhaltiges Eigenkapital für die gesamte ambulante Medizin der Region überführen. Es wird Zeit!